Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Joris Hering Blues Band „Unterwegs“  (2015, Eigenproduktion)                                                22.11.2015 01  Unterwegs                                    02  Feuer                                           03  Sie verließ mich heute Morgen        04  Regen                                          05  Wunderschön                                06  Puppe                                          07  Isolde 08  Fishtone Blues 09  Lied für einen Fluß 10  Katze 11  Feierabend 12  Heimstadt Blues 13  Süße 14  Der Mann von nebenan 15 Katze (unplugged)                                                   Seit   nunmehr   über   zehn   Jahren   gabelt   er   den   Blues   auf.   Er   entdeckt   ihn   nebenan,   mitten   im   Leben,   in   den   Facetten   des Alltags   und   dort,   wo   ein   Musiker   eine   Menge   Zeit   verbringt   –   „Unterwegs“.   Auf   und   neben   den   Straßen   entdeckt   er Menschen   mit   ihren   kleinen   Episoden   und   er   macht   daraus   Lieder,   die   er   uns   erzählt.   Das,   so   scheint   es   mir,   ist   seine Mission, denn inzwischen habe ich die zweite CD seiner JORIS HERING BLUES BAND hier und die läuft und läuft: Die   startet   ruppig   mit   Mundi   und   Gitarre,   der   Boogie-Karren   begibt   sich   „on   the   road   again“,   ist   wieder   „Unterwegs“.   Schon mit   den   ersten   Takten   stampft   der   Rhythmus   über   die   fiktiven   Strassen   und   eine   lockende   Blues-Harp   singt   entspannt   dazu. Es   ist   dieses   Gefühl   von   auf   und   davon,   hinaus   in   die   Welt,   das   einen   ad   hoc   erfasst   und   zu   dem   eine   „altmodische“   Orgel genüsslich   aufspielt,   die   Saiten   einer   Gitarre   rotzig   trocken   singen.   Ich   liebe   diesen   unverwechselbaren   Sound,   der   modern daher kommt, sich aber einer uralten Stilistik bedient – Blues so und mal so. In   unterschiedlichen   Facetten   werden   hier   Alltagsgeschichten   erzählt,   schöpft   der   Gitarrist   und   Sänger   JORIS   HERING   mit seinen   Blues-Geschichten   aus   dem   prallen   Leben.   So   wie   bei   der   vom   „Feuer“,   das   dich   packen   und   „wie   Papier“   entzünden kann   oder   wenn   er   mit   „Wunderschön“   einmal   ganz   andere   Worte   für   jene   berühmten   drei   findet:   „Sie   ist   längst   weg,   als ich   die   Worte   wiederfand.“   Die   einen   steckt   er   in   einen   schleppenden   Slow-Blues   und   beschreibt   Gefühle,   für   die   anderen lässt   er   fröhlich   einen   Boogie-Woogie   tanzen   und   seine   Gitarre   überschwänglich   swingen.   Ganz   gleich,   welches   Thema   er mit   seiner   Blues   Band   aufgreift,   er   erzählt   davon   so,   wie   er   einem   Kumpel   erzählen   würde,   dem   er   simple   sagt   „Sie   verließ mich   heute   morgen“   und,   um   die   Verwirrung   auch   wirklich   gut   nachfühlbar   auszudrücken,   einen   wippenden   Beat   darunter legt. Jene   Songs,   die   man   schon   von   der   Live-Einspielung   kennt,   werden,   wie   die   „Puppe“,   „Katze“   oder   der   atmosphärische „Regen“,   in   ihrer   Studiovariante   noch   ein   ganzes   Stückchen   intensiver,   weil   fast   schon   hautnah   im   Gefühl.   Plötzlich gewinnen   Nuancen   mehr   an   Bedeutung,   erhalten   die   Figuren   noch   mehr   Charakter   im   vollen   Klangbild,   das   jedem Instrument   genug   Spielraum   einräumt.   Straßengeräusche,   fahrende   Autos   und   so   ein   Sauwetter,   da   meint   man   glattweg, einen   Schritt   beiseite   treten   zu   müssen,   um   aus   einer   Pfütze   heraus   nicht   vollgespritzt   zu   werden,   so   differenziert   kommt der   kompakte   Sound   druckvoll   aus   den   Boxen.   Es   gibt   eine   Menge   zu   entdecken   und   zu   genießen,   wenn   man   diese   Songs in sich aufsaugt. Meine   besonderen   Entdeckungen   sind   jene   Stücke,   bei   denen   ich   das   Gefühl   habe,   der   Sänger   nimmt   mich   mit   in   seine kleine   Welt.   Das   „Lied   für   einen   Fluss“,   mit   dem   beeindruckendem   Synchronspiel   von   Gitarre   und   Gesang,   das   mich unterschwellig   an   ganz   frühe   Bayon-Musik   erinnert,   ist   ein   solches   Kleinod,   aber   auch   die   intime   Story   vom   „Heimstadt Blues“,   der   traurig,   nachdenklich,   aber   auch   leise   optimistisch   stimmt,   geht   mir   nahe.   Da   verschwendet   dieser   Berliner Blueser   schon   fast   eine   Schippe   Genialität:   „Kann   dich   nicht   ertragen   und   muss   dich   doch   wiedersehn.“   Intimer   geht’s   nicht mehr   und   ehrlicher   auch   nicht.   Und   ich   mag   den   „Fishtone   Blues“,   dieses   Stück,   das   sich   JORIS   HERING   als   die   kleine Spielwiese   für   seine   Gitarrenkünste   ausgedacht   hat,   um   sich   hier   mal   abwechlungs-   und   sehr   ideenreich   mit   seinem Instrument   auszutoben.   Da   sehe   ich   ihn   gedanklich   neben   Größen   wie   Kerth   und   Papst,   die   schon   seit   Dekaden,   still   und unbeirrt, ihre eigene Auffassung vom Blues spielen. Deren Nachfolger hat die Startlöcher längst verlassen. Auf   dieser   CD   mit   der   JORIS   HERING   BLUES   BAND   „Unterwegs“   zu   sein,   ist   wie   das   Eintauchen   in   die   stilistische   Vielfalt   des Genres.   Vom   trockenen   Power-Blues   eines   fetzig   rockenden   Trios,   bis   hin   zur   spartanischen   Akustikvariante   der   unplugged- ten   „Katze“,   kann   man   alles   auskosten.   Selbst   mit   einem   Hauch   von   Swing   sind   einige   Parts   gewürzt,   so   dass   jeder   der insgesamt 15 Songs auch jedes Mal neu zum Hinhören einlädt. Bis   auf   zwei   Songs,   nämlich   „Isolde“   und   „Feuer“,   hat   JORIS   HERING   alle   Lieder   selbst   erdacht   und   sie   durchgängig   mit deutschen   Texten   versehen.   Letzteres   sorgt   dann   wesentlich   dafür,   dass   beim   Hörer   ein   durchgängig   eigenständiger Gesamteindruck   haften   bleibt.   So   reizvoll   es   auch   sein   mag,   einige   der   internationalen   Standards   selbst   zu   interpretieren, dass   man   darauf   verzichtet   hat,   zeugt   ebenfalls   von   dem   gewachsenen   Selbstvertrauen   und   der   Reife   der   Band.   Zudem gelingt   es   nur   mit   deutscher   Lyrik   auch   all   jene   zu   begeistern,   die   das   Gespür   für   besondere   Geschichten,   wie   die   vom „Mann nebenan“, nur in ihrer Muttersprache entdecken können. Denen sei dieser Silberling wärmstens ans Herz gelegt. Es   sind   noch   keine   zwei   Jahre   vergangen,   seitdem   sich   ein   Live-Mitschnitt   der   JORIS   HERING   BLUES   BAND   zu   mir   verirrt hatte,   mich   neugierig   werden   und   staunen   ließ.   Da   spielte   einer   ganz   beseelt   seine   Gitarre   und   packte   all   seine   Erfahrungen und   seine   Einblicke   in   die   Ecken   des   Lebens   hinein.   Das   hatte   mich   überzeugt   und   neugierig   werden   lassen,   so   dass   ich   mir wenig   später   die   Band   aus   Berlin   auch   live   und   in   natura   gönnen   musste.   Das   Live-Erlebnis   hat   meinen   Eindruck   auf glänzende Weise bestätigt. Nun   also   endlich   auch   ein   rundum   kompaktes,   stilistisch   in   sich   geschlossenes   Blues-Paket   mit   eigenen   Liedern.   Der   rote Faden   ist   unser   Alltag,   der   uns   hier   in   kleinen   Episoden   begegnet,   die   Einsamen   und   die   Unscheinbaren,   die   jeden   Tag meistern   und   natürlich   der   Blues,   der   den   Liedern   ihren   Charakter   und   den   Inhalten   intime   Identität   verleiht.   Das Einbeziehen   musikalischer   Gäste   an   Saxophon,   Orgel   und   Blues-Harp   bringt   die   nötige   kleine   Briese   Verspieltheit   mit.   Nichts scheint   erzwungen,   alles,   was   man   hört,   geschieht   mit   verspielter   Leichtigkeit   und   dennoch   ist   der   Sound   ungemein druckvoll   sowie   energiegeladen.   Dies   ist   ein   Blues-Album,   das   junge   Musiker   viele   Jahre   später   vielleicht   einmal   als   Maßstab heranziehen   werden,   um   sich   zu   orientieren.   Für   JORIS   HERING   und   seine   BLUES   BAND   ist   diese   Scheibe   ein   weiterer Schritt in die eingeschlagene Richtung, immer weiter „Unterwegs“ zu sich selbst zu sein.